Die Ebene des „biologischen Geschlechtes“ ist die, die den meisten Menschen vertraut ist. „Es gibt Mann und Frau“ ist eine Aussage, die sicherlich jeder schon einmal gehört hat. Die meisten haben auch in der Schule etwas über die Grundlagen geschlechtlicher Reproduktion gelernt und dass es dafür zwei Geschlechter braucht. Und damit diese auch zuverlässig zur Verfügung stehen, damit die Menschheit nicht ausstirbt, werden neue Menschen als „genetisch männlich“ oder „genetisch weiblich“ geboren. Das lernt man so in der Schule. Das ist jedoch eine Vereinfachung, die die Realität nicht vollständig erfasst.
Bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht
Die erste Vereinfachung tritt mit der Geburt ein. Einfach gesagt: man schaut dem Baby zwischen die Beine. Da gibt es insgesamt 5 mögliche Varianten:
- es ist optisch eindeutig ein Junge
- es ist optisch eindeutig ein Mädchen
- es is optisch uneindeutig
- es ist uneindeutig und man operiert zu einem eindeutigen Jungen
- es ist uneindeutig man operiert zu einem eindeutigen Mädchen
Wir reden hier über mögliche Varianten – nicht darüber, wie häufig diese auftreten. Am Ende stehen drei Möglichkeiten des „bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts“ zur Auswahl (das unterscheidet sich von Land zu Land):
- männlich
- weilblich
- intersexuell
Intersexuelle wurden in der Vergangenheit auch „Zwitter“ genannt. Früher gab es eine starke Tendenz operativ Eindeutigkeit herzustellen. Diese Tendenz ist rückläufig. Es gibt nicht nur bei Menschen, deren bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht „intersexuell“ ist, Fehlzuordnungen. es gibt also z.B. genetisch weibliche Personen mit Penis und genetisch männliche Personen mit Vagina. Selten – aber es gibt sie.
Das genetische Geschlecht
Die Mehrheit der Menschen wird mit einer der beiden Varianten XX oder XY geboren. Bei Säugetieren ist es so, dass Weibchen und Männchen gleich viele Chromosomen haben. Jedoch unterscheidet sich eins der Chromosomen bei Weibchen und Männchen. Diese unterschiedlichen Chromosomen nennt man daher auch Geschlechtschromosomen oder Gonosomen.
Genetisch weibliche Menschen haben zwei X-Chromosomen. Diese zwei gleichen Chromosomen nennt man daher auch homozygot. Genetisch männliche Menschen haben ein X und ein Y Chromosom, das nennt man auch hemizygot. Das Y Chromosom enthält ein spezielles Gen, das für die Ausbildung des männlichen Gentialtraktes Bedeutung hat. Fehlt dieses, kann das durch andere Gene ausgeglichen werden. Fehlen jedoch beide, wird ein anderes Gen aktiv und sorgt für die Ausbildung eines weiblichen Gentitaltraktes.
Wir sehen, so einfach ist das alles auch nicht und nicht garantiert binär und nicht immer ganz eindeutig.
Intersexualität
Wenn keine Eindeutigkeit vorliegt, kann man von Intersexualität sprechen. Wie die genaue Definition ist, ist eine Frage der Definition und derer gibt es einige verschiedene. Je nach Definition sind 0,02 % bis 1,75 % der Menschen intersexuell. Wenn man bestimmte Eigenschaften genetischer Frauen hinzufügt, betrifft es auch 4-12% der bei der Geburt als genetisch weiblich eingeordneten Personen. Es ist also so, dass auch die Gruppe der intersexuellen Personen nicht fest umrissen ist und wir bei ihren Besonderheiten oder Eigenschaften auf unterschiedliche Ursachen und Auswirkungen treffen. Da diese Gruppe von Menschen weder eindeutig Mann noch eindeutig Frau ist, gibt es die Möglichkeit, dass diese sich in einem dritten Personenstand, als intergeschlechtliche Personen einordnen. Dieses macht Intersexualität nicht zu einem „dritten Geschlecht“ im reproduktionsbiologischen Sinne, schafft jedoch einen durch die Realität angeregten dritten Personenstand, der außerhalb des binären Systems aus männlich und weiblich liegt.
Das anatomische Geschlecht
Mit diesem Begriff beschreibt man in der Regel die äußerlich sichtbaren oder per Ultraschall abbildbaren primären Geschlechts- bzw. Sexualorgane von Menschen. Sie bilden in der Regel die Grundlage für das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht.
Die Regel besteht aus männliche und weiblichen Geschlechtsorganen:
Männlich: Penis, Hoden, Samenleiter Prostata und einige Nebendrüsen
Weiblich: Vagina, Klitoris, Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke
Beide kann man weiter ausdifferenzieren, also noch kleinteiliger oder auch vollständiger beschreiben. Man unterscheidet z.B. funktional die Sexualorgane (Organe, mit denen der Reproduktionsakt ausgeübt wird) von den Reproduktionsorganen in denen bei der Meiose Ei- oder Samenzellen mit halben (haploiden) Chromosomensatz ausgebildet werden. Quer durch diese Organe verlaufen dann auch noch die ableitenden Harnwege.
Zusammenfassung
Wir haben hier einen von 4 Ebenen des Genderbread-Koordinatensystems etwas genauer beleuchtet und man kann sehen: es ist kompliziert und nicht so eindeutig, wie man vielleicht denken könnte. Diese schafft man auch weder dadurch, dass man sich „streng an die Genetik“ hält und auch nicht, wenn man sich beispielsweise an der Vollständigkeit und Funktionsfähigkeit von sowohl Sexual- als auch Reproduktionsorganen orientiert. So war eine Bezeichnung für die Kastration funktional männlicher Menschen der Ausdruck „Entmannen“ gebräuchlich. Viele Frauen, denen operativ die Gebärmutter (Hysterektomie) entfernt werden musste haben sich gefragt, ob sie denn dann noch „richtige“ Frauen sein können. Daran erkennen wir, eine Definition von „Mann“ oder „Frau“ um so mehr Personen ausschließt, je länger die Liste der Eigenschaften ist, die gleichzeitig wahr sein müssen um eindeutig als „Mann“ oder „Frau“ klassifiziert zu werden. Gleichzeitig gibt es nicht für alle durch einen solchen Prozess von den durch eine solche Definition ausgeschlossenen Personen geeignete Auffanggruppen, keine gängigen Alternativen – und im Volksmund wenige, die nicht mit eine Pathologisierung, Abwertung oder Ausgrenzung verbunden wären.
Es gibt hier also keine einfachen Antworten, auch wenn man sie gerade in diesem Bereich vermuten würde. Ein Ansatz ist daher, die Vielfalt, in der Personen auch im Sinne ihres biologischen Geschlechts existieren anzuerkennen, als „drittes Geschlecht“, als „intersexuelle“ Menschen oder welche Bezeichnung auch immer sie für sich erwählen.
Was sagt die Genderbread-Person V. 4.0 dazu?
In der Version 4 der Genderbread Person wird ein Spektrum angeboten, gekennzeichnet durch einen Pfeil zwischen zwei Polen männlich und weiblich und intersexuell dazwischen. Hervorgehoben werden die „objektiv messbaren Organe, Hormone und Chromosomen“. Wir haben den Aspekt der Hormone und ihre Auswirkungen hier noch nicht näher beleuchtet, aber auch dieser Bereich ist in sich komplex und umfasst nicht nur die Hormone innerhalb des eigenen Organismus, sondern auch Hormone externer Quellen, sei es den Hormonhaushalt der Mutter, oder Homoneinnahmen- und Thearapien im Laufe des Lebens.

Was folgt daraus für Genderbread Version 5?
Wir in der Zusammenfassung angedeutet, werden dadurch die Einschränkungen dieses Modells offensichtlich, weshalb z.B. beim „Gender Einhorn“ an dieser Stelle nur „bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht zu finden ist. Im Sinne einer Vereinfachung zur Annäherung an diese Thematik würde ich dazu tendieren den Ansatz des „Gender-Einhorns“ zu übernehmen und hier das „bei der Geburt zugewiesene Geschlecht, basierend auf den dafür herangezogenen Merkmalen“ einzusetzen. Da dieses nicht nur auf biologischen Fakten basiert, sondern auch von kulturellen Einflüssen bestimmt wird, die über die Zusammensetzung und Bewertung der Kriterien entscheidet, ist der Begriff „zugewiesenes Geschlecht“ zutreffender, als „biologisches Geschlecht“. Ein weiterer Aspekt ist, dass die fötale und auch postnatale Entwicklung „biologische“ Auswirkungen auf den Menschen hat, die hier nicht erfasst werden, wie z.B. die Entwicklung des Gehirns.
Hast du Gedanken oder Anregungen dazu? Hinterlasse gerne einen Kommentar!